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TWO PLAY
TO KNOW

öffentliche Probe
18. Januar 2020 / Gewandhaus, Großer Saal


Die öffentliche Probe Nummer 1 steht am heutigen Sonnabend an und diesmal ist alles etwas anders. Seit Mittwoch sind Michael Schönheit und P.A. Hülsenbeck bereits im Gewandhaus am Proben, wo ihnen die elektronische Orgel im Mendelssohn-Saal und die Schuke-Orgel im Großen Saal zur Verfügung stehen. Die öffentliche Probe am heutigen Abend schließt sich somit nahtlos an die vorhergehenden Tage an.

Um 20 Uhr begrüßt P.A. Hülsenbeck die Gäste auf der Bühne des Großen Saals und erklärt kurz den Plan für die nächste Stunde. Musikalische Ideen werden angerissen und technische Fragen geklärt. Michael Schönheit findet sich mit den Worten: »Zur Probe sagt man nichts, da fängt man an!« hinter seinem Spieltisch ein und eröffnet den Abend mit zerbrechlich enervierende Tönen die von tiefen Tönen unterlegt werden und sich in in einem trillernden, zarten Ton auflösen. Die Orgel ist mikrofoniert und P.A. Hülsenbeck verfremdet das Signal, welches sich mal mehr, mal weniger subtil mit den Klängen der Orgel verbindet. Wann auf welche Art effektiert und zugespielt wird steht in der Partitur des Stückes, für Improvisation werden Anmerkungen im Notenbild gemacht. P.A. Hülsenbeck unterbricht das Spiel von Michael Schönheit, weil er sich nicht hören kann. Es folgt eine längere Abstimmung mit dem betreuende Tontechniker Fritz Brückner. Das Problem lässt sich jedoch nicht ganz lösen und liegt in den unterschiedlichen Akkustiken der Säle und Orgelfrequenzen von E-Orgel und Schuke Orgel begründet. Die Beschallung ist für die Probe so angelegt, dass Michael Schönheit, P.A. Hülsenbeck und das Publikum über das gleiche System hören. Das funktioniert nicht richtig, und es wird beschlossen, dass in den nächsten öffentlichen Proben Monitore zum Einsatz kommen. Beide Musiker setzen noch einmal an und die eingangs beschriebenen schweren Bässe werden abgelöst von hohen flirrenden Tönen die in einem stehenden Ton auslaufen. Die Melodie kippt in eine fallende Tonfolge, die unterlegt von elektronischen Flächen, sich in der Abwärtsbewegung verlangsamt und in einem stehenden Ton endet. Nach einem Atemzug schließt sich ein kraftvoller, vollstimmigen Akkord an, der in eine Arpeggiobewegung überleitet.

Wieder wird das Stück unterbrochen und das akustische Problem wird diskutiert. Es sind die tiefen Töne, die P.A. Hülsenbeck fehlen. Sie werden gefunden und das Stück beginnt erneut. Die Arppegiobewegung als tiefer, grollender vollstimmiger Weckruf wiederholt sich in höherer, jubilierender Tonlage und wird von einem frischem, schnell laufenden Flötenmotiv abgelöst. Der Weckruf als musikalische Ausrufezeichen und Teil eines von P.A. Hülsenbeck bearbeiteten Kirchenhymnus, ertönt erneut, steigert sich und fällt am Höhepunkt in eine Abwärtsbewegung, die gestoppt, sich erneut mit kräftigen Akkorden in den Himmel schraubt. Das alles klingt furchteinflößend schön, und gerade das Schöne wird zwischen den Durchgängen immer wieder verhandelt. Die Musiker diskutieren über die Zugänglichkeit bestimmter musikalischer Themen und sind sich in dieser Frage nicht immer einig. Diesmal ist es Michael Schönheit, der weg von lieblich will und bietet unterschiedliche Variationen der gehörten Motive an. Mal klingen sie tiefer und kraftvoller, mal ändern sich Lautstärke und Tempo.

Der erste Durchlauf dauert eine dreiviertel Stunde und Michael Schönheit beendet das Stück anerkennend mit »Das kann man so machen.« Die Frage, wie man das Stück gemeinsam beendet, ist noch offen. P.A. Hülsenbeck erkundigt sich, ob er vielleicht die gleiche Melodie spielen soll. Laut Michael Schönheit kann er das machen, muss er aber nicht. Ihm ist es wichtig, dass das Stück als Zwiegespräch endet.

Weiter geht es mit dem Ausprobieren von Effekten. P.A.Hülsenbeck nutzt dafür u. a. seinen Korg MS-10. Schwingendes Bässe bauen sich bedrohlich düster auf, ein Glockenspiel wird von dystopischem Grollen abgelöst, aus dem ein dissonant spielendes Orchester hervorgeht. Michael Schönheit lauscht gebannt und findet die »drei Minuten Elektronik« gut.

Bevor das zweite Stück dieses Abends geprobt wird, ermuntert P.A. Hülsenbeck die Zuhörer*innen zum Wahrnehmen der Musik aus unterschiedlichen Standorten und fordert sie auf, die Bühne zu verlassen und sich einen Platz im Großen Saal zu suchen. Das Angebot wird bereitwillig angenommen und nachdem alle einen Platz gefunden haben erfüllen elektronisch generierte, sphärische, sich vortastende, fiepsende Töne den Raum. Michael Schönheit schließt mit einer bedächtig, ruhigen Melodie an und verwebt seine Melodien mit den elektronisch erzeugten von P.A. Hülsenbeck.

Ein Teil der Besucher macht es sich in den gepolsterten Stühlen bequem und lauscht so dem vorletzten Stück des Abends, einem Klavierstück mit viel Raum zwischen zarten Tönen.

Die Klänge verhallen und während man sich fragt wie so viel entfesselte Lust am Ausprobieren in einem 60-minütigen Stück unterkommen soll, gehen die beiden Hauptakteure noch einmal in das erste Stück der Probe. Es klingt dissonanter, elektronischer und packt die Zuhörer*innen. Für sie ist der Abend nach 90 Minuten zu Ende, Michael Schönheit und P.A. Hülsenbeck proben bis Mitternacht weiter. Ein Künstlergespräch empfiehlt sich unbedingt demnächst, die nächste öffentliche Probe am 9. März 2020 sowieso!