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TWO PLAY
TO KNOW

Treffen Gregor Meyer & Martin Kohlstedt
10. Februar 2017 / Weimar

14 Uhr, Gleis 2 am Bahnhof Weimar, Treffpunkt für Martin Kohlstedt und Gregor Meyer. Hier startet die Reise der beiden Musiker in die »Two Play To Play«-Zusammenarbeit. Die erste Begegnung steht an und im Hinblick darauf, dass die beiden eine Spielzeit miteinander arbeiten werden, kommt die Frage auf: »Stimmt die Chemie?«

Erstmal geht es in ein Café und dann in Martins Studio. Ein paar Tage später finden sich beide sehr entspannt zum ersten Interviewtermin in einem Leipziger Biergarten ein, um von diesem Termin und der Sache mit der Chemie zu berichten.

Euer erstes Treffen in Weimar war so eine Art Blind Date, habt ihr euch darauf vorbereitet?

Martin Kohlstedt: Ich habe mir tatsächlich über YouTube-Videos von Gregor Meyer und dem GewandhausChor angeschaut und bin von einem langhaarigen Typen ausgegangen, der er ja nicht mehr ist. (lacht) Um mich vorzustellen, habe ich ein paar Musikstücke rausgesucht, bin aber generell erstmal ganz frei von Erwartungen in das Gespräch gegangen, um Gregor nicht gleich mit Ideen zu überhäufen und in der Hoffnung, dass überhaupt erstmal ein Gespräch entsteht. Wir sind über Privates hin zur Musik ins Gespräch gekommen und ich war froh, dass ich bei Gregor nicht erst »klassische« Betonwände durchbohren musste, sondern dass wir gleich einen Draht zueinander hatten.

Gregor Meyer: Eine vorbereitende Maßnahme war der Besuch eines Konzertes von Martin in Dresden. Ich wollte wissen, wie der Typ eigentlich auf die Bühne geht und was für Leute zu seinen Konzerten kommen. Ansonsten bin ich eigentlich ganz ähnlich in das erste Treffen gegangen. Dem Thema: »Wer ist Martin Kohlstedt und was macht der eigentlich für Musik?« habe ich mich auch via Youtube genähert. Die Recherche war bei mir allerdings sofort mit der Frage verbunden, wo ich andocken kann. Für das erste Treffen habe ich mir auf der Zugfahrt nach Weimar sinnvolle Möglichkeiten eines gemeinsamen Arbeitens notiert, z. B. dass wir die musikalische Perspektive wechseln und so voneinander lernen und einen gemeinsamen Weg ableiten.

Du hast also sofort mögliche Ansätze für eine gemeinsame Arbeit in Martins Musik gefunden?

Gregor Meyer: Ja, ich habe mir überlegt, was für Chormusik ich schon aufgeführt oder einstudiert habe, die sowohl Bausteine als auch Inhalte aufweist, die auch in seiner Musik zu finden sind. Ich habe nach Musik gesucht, bei der ich das Gefühl habe, Martin leckt da sofort Blut – die Noten hatte ich jedenfalls schon mit dabei.

Welche Chormusik war das?

Gregor Meyer: Das war relativ moderne Chormusik – die Komponisten, die ich mit Martins Musik in Verbindung gebracht habe, waren Pēteris Vasks, Jean-Yves Daniel-Lesur und Mauricio Kagel. Von Kagel stammt das komplizierteste Stück, das ich mit dem Chor einstudiert habe. Ein sehr komplexes Werk mit einer Tendenz zum Experimentellen und Elementen wie Schnipsen, Laut-blättern usw. Die Aufführung dieses Werkes hat deutlich gemacht, dass ein Chor nicht nur Töne halten und Worte singen kann, sondern dass die menschliche Stimme mehr Möglichkeiten bietet.

Martin, welche Ansatzpunkte hast Du in Gregors Arbeit gesehen?

Martin Kohlstedt: Für einen Instrumentalmusiker ist die menschliche Stimme der Joker. Ich mache eher unterbewusst Musik. Verbunden mit der Frage: »Welche Töne lösen was aus?« rücke somit den psychologischen Aspekt von Musik ins Zentrum meiner Arbeit. Mit dem GewandhausChor kommt die menschliche Stimme als Mittel des Musikmachens hinzu. Diese Möglichkeit mit 60 Menschen zusammenzuarbeiten, die einen Ton erzeugen,eröffnet mir eine neue Bandbreite und eine ganz andere Dimension, in der ich wirken kann. Es gibt ja ganz unterschiedliche Vorstellungen von dem, was ein Chor sein kann. Mein Ansatzpunkt war, den Chor als ein Instrument zu sehen – und so haben Gregor und ich mit einem Brainstorming begonnen, ein gemeinsames Vokabular entwickelt und uns Stück für Stück angenähert.

Gregor, du hast neben deiner Tätigkeit als künstlerischer Leiter des GewandhausChores zwei Ensembles gegründet – das Vocalconsort Leipzig und die Opella Musica – und dich auf Vokalmusik zwischen Barock und Romantik spezialisiert. Welcher Reiz liegt für dich in der Beschäftigung mit Martins Musik?

Gregor Meyer: Ich versuche Musik ganzheitlich zu verstehen, insofern als dass es okay ist, sich zu spezialisieren und Schwerpunkte zu setzen, da dies eine Grundsicherheit darstellt. Allerdings finde ich in jeder Musik Dinge wieder, die ich auf mein Spezialgebiet übertragen kann oder aus ihm heraus auf andere Musik überführe. Wenn ich zum Beispiel Musik von Ray Charles für den Chor adaptiere, dann geht es in dieser Musik um ein verdammt gutes Timing und davon profitiert auch die Barockmusik. Denn Timing ist in dieser Musik genauso wichtig. Es gibt in jeder Form von Musik gemeinsame Nenner, die sich nur unterschiedlich ausdrücken – und ein Genre profitiert immer von der Beschäftigung mit einem anderen.

Ist es schwierig, solche Projekte dem GewandhausChor zu vermitteln?

Gregor Meyer: Ich habe den Chor schon oft bewusst überfordert, deswegen sehe ich keine Probleme in der Vermittlung des Vorhabens. Da gab es schwierigere Zeiten, in denen ich nur ein Stück von 1920 rausholen musste und ich mir von den Sänger*innen anhören konnte: »Da sind zwei Quarten übereinander, das klingt aber komisch.« Ich habe dann mit dem GewandhausChor ein Projekt realisiert, das die Erfahrung von Bundeswehrsoldat*innen zum Inhalt hatte. Die Soldat*innen waren mit auf der Bühne und sowohl die Texte als auch die Musik waren extrem anspruchsvoll. Ich glaube, dass ich seit dieser Aufführung eine Art Grundvertrauen des Chores genieße und deshalb im besten Fall vom Chor die Rückmeldung kommt: »Wir haben keine Ahnung, worauf das hinausläuft, aber es wird gut.«

War beim ersten Treffen schon eure gemeinsame Vorgehensweise für die Arbeitsweise und Arbeitsteilung Thema?

Martin Kohlstedt: Das musste Thema werden. Wir haben sehr schnell festgestellt, wie wenig Zeit uns letztendlich zur Verfügung steht, da der Ablauf des Projektes durch den Spielplan des Gewandhauses straff getaktet ist – von dem Gedanken völliger Freiheit haben wir uns daher schnell verabschiedet. Wir mussten eine Vorgehensweise finden, die für die Zusammenarbeit funktioniert. Grundlage unserer Arbeit sind musikalische Skizzen geworden, auf die wir separat aufbauen und die gemeinsam diskutiert werden.

Gregor Meyer: Wie Martin schon sagt: Es bleibt eigentlich zu wenig Freiraum, um diesem »romantischen« Bild der Prozessgestaltung zu entsprechen. Diese Freiheit, die wir vorgegeben bekommen, müssen wir verwalten, um nicht den roten Faden zu verlieren. Wir haben beide relativ volle Terminkalender, wohnen nicht in derselben Stadt, da muss alles gut organisiert sein und ich war sehr überrascht, dass das mit Martin schnell funktioniert hat. Ich habe ja vorbereitend eines von Martins beeindruckenden Konzerten besucht und erlebt, wie er auf der Bühne die Stücke anmoderiert und aus dem Moment heraus entstehen lässt oder auch nicht. Ich habe das so verfolgt und gedacht, dass ich gespannt bin, wie das wird, wenn wir anfangen über Arbeitstermine zu reden. Martin hat mich dann beim ersten Treffen vom Bahnhof in Weimar abgeholt und es ging »Bäm Bäm Bäm«, ein Termin nach dem nächsten wurde festgelegt« (lacht). Und ich dachte: »Okay, gut. Es geht also beides.«

Martin Kohlstedt: Das geht auch nicht anders. Solche Projekte sind ja auch immer eine Möglichkeit und Chance. Und ich glaube Gregor und ich wissen beide, wo die Fallgruben sind. Feste Absprachen verhindern, dass uns am Ende Details verloren gehen – das wäre einfach schade.

Habt Ihr einen Zeitplan?

Martin Kohlstedt: Das Gerüst des Projektes sind die festgelegten Termine. Wir wissen, dass wir bis zu den öffentlichen Proben mit weiteren Treffen in die intensive Phase gehen, um 100 Prozent vorbereitet zu sein. Um einen Zeitplan kommt man quasi nicht drum herum.

Gregor Meyer: Einen groben Zeitplan haben wir schon beim ersten Treffen festgelegt.

Was stand nach dem ersten Treffen fest – neben dem Zeitplan?

Martin Kohlstedt: Das erste Treffen war ja eher so eine vertrauensbildende Maßnahme. Dementsprechend vorsichtig sind wir miteinander umgegangen. Diese angestrebte gleichberechtigte Zusammenarbeit bedeutet ja, dass wir beide jeweils die Hälfte zum Projekt betragen. Das Gefühl dafür muss erst mal entstehen, vor allem wenn mein Gegenüber Gregor und dieser riesige GewandhausChor ist. Wir haben damit angefangen, dass wir uns gesammelte Musikbeispiele auf Youtube und aus unseren Bibliotheken angehört haben und uns relativ schnell darauf einigen konnten, was uns beiden gefällt. Ich bin davon ausgegangen, dass dieser Prozess länger dauert, aber wir haben ziemlich schnell eine Richtung drin gehabt. Auf der Grundlage haben wir später Skizzen und Ideen ausgetauscht und so ein Fundament für das Kommende geschaffen.

Gregor Meyer: Das erste Treffen diente dem Kennenlernen. Wir haben Musik gehört unter dem Motto: »Aha, so denkst du über Musik, so denke ich über Musik, das geht mit Chor, das mache ich.« Ich weiß, dass ich motiviert von diesem ersten Treffen weggefahren bin und es gleichzeitig keinen Stress dahingehend gab, dass bis zum nächsten Termin schon bestimmte Sachen fertig sein sollten. Das wird dann beim zweiten Treffen Thema.