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TWO PLAY
TO KNOW

Treffen Gregor Meyer & Martin Kohlstedt
12. Juni 2017 / Weimar

Das zweite Arbeitstreffen zwischen Gregor Meyer und Martin Kohlstedt steht an. Wieder in Weimar und wieder in Martins Studio, um sich dort zwei Tage intensiv mit Musik, möglichen gemeinsamen Wegen und dem nicht mehr ganz so unbekannten Gegenüber auseinanderzusetzen. Zum Interviewtermin trifft man sich im nun wärmeren Leipzig, um zwischen Hunden und Igeln mehr über den Fortgang zu erfahren.

Wie verlief das zweite Treffen?

Gregor Meyer: Wir waren zwei Tage zusammen und sind den bereits beschrieben Weg gegangen: Ausgehend von Martins vorhandenen Stücken und grober Skizzen haben wir überlegt, wo ich andocken könnte.

Martin Kohlstedt: Ich habe gemerkt, dass die ganze Zeit eine gewisse Profession mitschwingt – und so bin ich in das zweite Treffen beruhigt hineingegangen. Es ist schon beim ersten Treffen eine gegenseitige Verlässlichkeit entstanden – und die hat beim zweiten Treffen die Entwicklung in eine sehr konkrete Richtung gefördert. Trotzdem hat das Ganze erst begonnen und wir können noch nicht genau sagen wie und was das alles wird – es geht seinen Gang.

Ihr habt beide eine musikalisch unterschiedliche Ausbildung. Sprecht Ihr eine gemeinsame Sprache, wenn Ihr euch über Musik unterhaltet? Oder musstet ihr euch auf bestimmte Begriffe erst einigen?

Martin Kohlstedt: Da kann ich beruhigt zugeben, dass ich im Zweifel nachfrage. Es gibt ein komplett gemeinsames Vokabular auf der menschlichen Seite. Aber meine Musik entsteht intuitiv und dementsprechend improvisiert ist mein Vokabular. Ich glaube aber, mit Gregor jemanden gefunden zu haben, der das für sich übersetzen kann.

Gregor, hast Du Martin bis jetzt immer verstanden?

Gregor Meyer: Ich kann nur sagen, ja! (lacht) Wir hatten bisher keinen Moment, in dem ich dachte, wir reden aneinander vorbei oder finden nicht zueinander. Es ist für mich eher bereichernd, Martins Rangehen an Musik zu begegnen, das ja daraus resultiert, woher er musikalisch kommt. Ein Studium hat zugleich Vor- und Nachteile, Musik wird kategorisiert und einsortiert und man lernt entsprechend rational, bestimmte Dinge anzugehen. Dabei kommt das intuitive Rangehen an Musik, das ja etwas muttersprachliches Muttersprachliches hat, unter klassisch ausgebildeten Musiker*innen zu kurz. Musik bringt immer eine emotionale Ebene mit sich. Sofern man diese spürt und in dem Moment, in dem wir diese emotionale Ebene mit Bildern umschreiben, verstehen wir uns sofort.

Was ist die Grundlage Eurer gemeinsamen Arbeit?

Gregor Meyer: Der Auftrag! (lacht)

Martin Kohlstedt: Ich finde, die Grundlage unserer gemeinsamen Arbeit ist ein achtsamer Umgang, ohne den anderen zu sehr beachten zu müssen. Wir haben ja mit dem Projekt ein fast grenzenloses Feld, in dem wir spielen und auch spielen dürfen – zwar mit einem straffen Zeitplan, aber die Offenheit des Ergebnisses ist eine Grundlage, die man nicht so häufig in einem Werksvertrag findet. Diese Freiheit gibt uns die Möglichkeit, uns kennenzulernen und bei unseren Treffen sowohl das musische als auch das persönliche auszuloten. Letzteres macht meiner Meinung nach noch einmal eine interessantere Ebene auf, weil die dabei entstehende Intimität dazu ermuntert, sich zu äußern und sich an Experimente heranzutrauen, ohne dass sich ein Über-Ich meldet und sagt: »Vorsicht!«

Gregor Meyer: Ich denke auch, dass das was da musikalisch entsteht, etwas sehr Persönliches ist. Es geht ja nicht darum, dass Martin und ich ein 200 Jahre altes Werk vierhändig spielen – und selbst dafür wäre es wichtig, dass man ein bisschen voneinander weiß. Es geht darum, etwas gemeinsam zu erschaffen. Und der Freiraum des Kennenlernens, in diesem letztendlich ja doch zielorientierten Prozess, ist mit Fragen wie: »Wer bist Du?«, »Was beschäftigt Dich?«, » Was gibt es für Interessen?«, »Wie denkst du darüber?« unglaublich wichtig, da er sich auf das Ergebnis auswirkt. Die andere Grundlage ist paradoxerweise das Ergebnis. Der Mendelssohn-Saal spielt da als Aufführungsort eine wichtige Rolle und wir wissen jetzt schon, dass das Zusammenspiel von Musik, Raum und Zuhörer*innen von einer besonderen Atmosphäre geprägt sein soll, einer Atmosphäre, die unsere Zusammenarbeit widerspiegelt. Das Wissen darüber, wo wir mit der Aufführung und den Zuhörer*innen hinwollen treibt uns an und ist gleichzeitig Grundlage.

Ihr habt gesagt, dass ihr den Mendelssohn-Saal mit eindenkt. Inwiefern ist die Musik für diesen Ort geschrieben?

Gregor Meyer: Sobald man weiß, wie der Raum klingt und wie es in dem Raum aussieht, beeinflusst es einen. Das heißt nicht, dass das, was entsteht, woanders nicht auch funktioniert und ich habe auch noch keine Musik erlebt, die nur im Mendelssohn-Saal aufführbar ist. Grundsätzlich ist jedoch für jeden Komponisten wichtig zu wissen, wie ein Raum funktioniert. Denn der Raum ist auch Instrument und er löst mit seiner Architektur bei jedem etwas aus.

Gibt es eine Durchlässigkeit in euren Rollen oder Funktionen – im Sinne von: Martin dirigiert und Gregor sitzt am Klavier?

Gregor Meyer: Im tonschöpferischen Schaffen sind wir ja beide zu Hause, dahingehend sind die Rollen durchlässig und ich hätte kein Problem damit, wenn Martin dirigieren würde.

Martin Kohlstedt: Ich denke gar nicht darüber nach, ob das möglich ist, die Rollen zu tauschen. Denn in erster Linie ist der Chor und die Chorleitung Gregors Profession. Für mich ist der Chor momentan eine Taste auf dem Synthesizer. (lacht) Es entstehen schon Situationen, in denen man den eigenen Bereich verlässt. Etwa, wenn Gregor mich auffordert: »Spiel das jetzt fünf mal hintereinander!«. Dann merke ich, dass ich damit meinen Bereich verlasse. Letztendlich ändern sich unsere Rollen ständig. Einmal ordnet man sich unter und dann macht man wieder Chefansagen. Es ist gut, dass wir die Uraufführung die ganze Zeit im Kopf haben. So wechseln wir den Blickwinkel ganz unabhängig von der Rolle, die wir eingenommen haben. Wichtiger als die Durchlässigkeit unserer Funktionen ist es, dass wir uns ausprobieren können und den eingeschlagenen Pfad auch wieder verlassen dürfen, um neue Wege zu gehen.

Gregor Meyer: Ich habe nie über unsere Rollen nachgedacht, da wir immer verbal-rational, verbal-emotional kommunizieren. Jeder wirft etwas ein, so als würde man gemeinsam am Kochtopf stehen: Der eine weiß besser über Kräuter der Provence Bescheid, der andere über indische Gewürze. Es ist auch nicht so, dass ich Martin dirigiere – so funktioniert ja Martins Musik nicht. Wir versuchen eher eine Partnerschaft auf Augenhöhe zu bilden und ich nehme den GewandhausChor dabei mit. Sicherlich wird es Momente geben, in denen ich Martin signalisiere, dass es jetzt weitergeht, aber es gibt ganz viele, vor allem rhythmische Elemente, die von ihm kommen und bei denen ich den Chor abholen muss. Meine Aufgabe besteht darin, Strukturen zum Festhalten zu geben. Martin kann in jedem Konzert aus dem Moment heraus mit sich selber ausmachen, wie er weiter verfährt. Aber bei diesem gemeinsamen Projekt muss ich Dinge festschreiben, die eigentlich von Martin kommen, die ich aus seiner Musik übernehme. Ich sage dann: »Bei deiner Aufnahme hast Du das so und so gespielt, daran habe ich mich jetzt orientiert, ich brauche das jetzt von dir so, sonst funktioniert das nicht mehr.« Und dann stellt Martin fest: »So habe ich das damals gespielt? Interessant, aber das mache ich jetzt ganz anders. Aber gut, ich beschäftige mich mal wieder damit, wie ich das früher gemacht habe.« Das alles ist ein sehr interessanter Prozess, der zeigt, dass ich mich als klassischer Musiker sehr devot Strukturen hingebe. Martin hingegen durchbricht diese bewusst, nimmt intuitiv seine Bausteine und setzt diese aus der Situation heraus neu zusammen.

Martin, sind solche Verbindlichkeiten oder Strukturen, wie Gregor sie beschreibt, schwierig für Dich?

Martin Kohlstedt: Schwierig nicht, weil ich irgendwann mal mein Instrument auf klassische Art und Weise gelernt habe und auch in Bands meinen Mitspielern verpflichtet bin. Aber nach zwei Jahren des Sich-selbst-befreiens und Gerüste-von-sich-ablegens habe ich schon das Gefühl, dass es vonseiten des Gehirns Error-Meldungen gibt, sobald ich Musik spiele, die eine Struktur aufweist, die nicht gänzlich meine ist. Wenn Gregor mich auffordert, Wiederholungen zu spielen, löst das in mir einen Freiheitsdrang aus, der eigentlich schön zu beobachten ist, da das Über-Ich auch noch dabei ist und so eigentlich mehr Personen anwesend sind als uns lieb ist. (lacht)

Ihr kommuniziert auch zwischen den Treffen miteinander – wie läuft das ab?

Gregor Meyer: Konsequent, kurz, ohne Schmus. Die Richtung steht fest und deswegen müssen wir nicht per Mail miteinander diskutieren. Bei Problemen oder Fragen schicken wir uns kurze Nachrichten oder melden uns über Facebook.

Mit welchem Ergebnis seid ihr aus dem zweiten Termin gegangen?

Gregor Meyer: Ziel des zweiten Treffens war es festzulegen, was von meiner Seite angegangen werden kann. Ich habe mich danach erst mal zurückgezogen und ein Wochenende im Gewandhaus eingeschlossen, um mich intensiv mit mehreren ausgesuchten Werken von Martin zu beschäftigen. Ziel davon war, seine Sprache auf den Chor zu übertragen. Klavier und Chor ergänzen sich, es gibt Dialoge zwischen beiden, es gibt Freiräume in denen sich der Chor oder Martin am Klavier abwechselnd entfalten und dann auch Momente, in denen dies gleichzeitig geschieht.

Martin Kohlstedt: Dialog trifft es. Die Stücke, die bis jetzt entstanden sind, sind im Prinzip nichts anderes als die Kommunikation miteinander. Kommunikation zwischen uns, zwischen Synthesizer und Klavier, zwischen Chor und den Instrumenten.