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TWO PLAY
TO KNOW

Interview
16. April 2018 / Studio Stefan Streck


Stefan Streck alias »The Micronaut« lädt Tahlia Petrosian in sein Studio im Leipziger Westen. Er gibt eine kleine Führung durch das alte Fabrikgebäude, das überwiegend von Musiker*innen und Künstler*innen genutzt wird, um anschließend sein Studio zu zeigen. Es ist ein Raum, der die Welt ein Stück außen vorlässt und sich nun der klassischen Musik und Tahlia Petrosian öffnet. Bevor die beiden sich voll und ganz der Musik widmen, wird noch schnell zum Interview gebeten. Jetzt geht es los:

Tahlia, für die diesjährige »Two Play To Play«-Zusammenarbeit hast du vonseiten des Gewandhausorchesters Interesse bekundet. Dein Wunschpartner war Stefan alias »The Micronaut«. Wie bist Du auf Stefan und seine Musik aufmerksam geworden?

Tahlia Petrosian: Ich leite die Reihe »Klassik Underground« in der Moritzbastei. Stefan hat für uns einen kurzen Trailer produziert und uns als Tontechniker betreut. So haben wir uns kennengelernt. Leute aus der Moritzbastei haben mir von Stefans Projekt »The Micronaut« erzählt und wie aktiv er in der Leipziger Musikszene unterwegs ist. Ich habe ihn dann live erlebt und einfach gefragt.

Du bist seit 2012 Bratschistin im Gewandhausorchester – inwiefern bist Du mit elektronischer Musik vertraut?

Tahlia Petrosian: Eigentlich … kenne ich mich gar nicht aus. (lacht)

Stefan Streck: Das ist aber auch okay, weil du dann völlig unvoreingenommen bist.

Stefan, bist du Gewandhausgänger?

Stefan Streck: Der Opa meiner damaligen Freundin hatte ein Dauer-Abonnement für das Gewandhaus. Immer wenn er nicht zu einem Konzert gehen konnte, sind wir hingegangen. Ich fand es beeindruckend zu sehen, wie die Abläufe in einem Orchester reguliert sind. Die Synchronität der Streicher, die ihre Bögen gleichzeitig nach oben und unten führen – das hat mich immer an Bienen erinnert. Diese Mechanik in der Bewegung von Musiker*innen zu sehen, fand ich noch vor dem Hören der Musik interessant.

Tahlia Petrosian: Ja, das ist schon eine große Maschine. Wir haben die verschiedenen Gruppen im Orchester: Streicher, Bläser, Blech, usw. – und alle müssen gemeinsam funktionieren – wie ein Mechanismus. Man muss da immer reinpassen: in den Klang der Gruppe und zum Klang des ganzen Orchesters.

Stichwort »reinpassen«: Ihr werdet für das Projekt von weiteren Musiker*innen des Gewandhausorchesters unterstützt. Wie habt ihr euch gefunden?

Stefan Streck: Das sollen einfach Leute sein, die Lust drauf haben.

Wollt ihr die Musiker*innen in den Kompositionsprozess einbinden oder seht ihr euch als die kreativen Köpfe?

Tahlia Petrosian: Ich sehe das als eine Kooperation. Die Musiker*innen wissen am besten, was ihr Instrument kann und welche Ideen sich daraus für das Stück ableiten lassen.

Ist die kommende Zusammenarbeit völliges Neuland für euch oder habt ihr bereits Erfahrungen in vergleichbaren Projekten gesammelt?

Stefan Streck: Ich habe mal in Bands gespielt – das war eher so Krach (lacht). Elektronische Musik habe ich noch nie mit anderen Leuten gemacht. Das hier ist jetzt das erste Mal. In meinem Studio kann ich arbeiten, wann ich will und wie ich will. Sich nun dem Projekt und der Zusammenarbeit zu öffnen, wird für mich ein Lernprozess.

Tahlia Petrosian: Für die Zusammenarbeit finde ich es wichtig, dass es von beiden Seiten Interesse an der dem musikalischen Schaffen des »Anderen« gibt. Bei Stefan habe ich das Gefühl, das er versteht, was wir im klassischen Bereich machen und dass es ihn interessiert.

Wie verschieden sind die Welten?

Stefan Streck: Meine Musik ist abhängig vom Strom. Töne werden maschinell erzeugt und deswegen läuft das alles ganz anders, als wenn man Töne mit der Bratsche erzeugt. Das ist eine andere Herangehensweise – mal schauen, wie wir das kombiniert bekommen.

Tahlia Petrosian: Wir sprechen zwei sehr unterschiedliche musikalische Sprachen. Ich denke, dass wir als Orchestermusiker*innen mehr Freiheiten haben, in dem was wir auf der Bühne machen. Uns liegt eine Partitur vor, das ist unser Text, den wir lesen und denn wir interpretieren. Stefan ist für die ganze Geschichte verantwortlich. Er komponiert seine Musik und spielt sie. Das ist für ihn eine vertraute Herangehensweise, die für uns völlig fremd ist, da wir normalerweise nicht komponieren. Hinzu kommt noch, dass Orchestermusiker*innen nie mechanisch spielen. Die Musik ist einzig und allein taktweise organisiert, damit man sie aufzeichnen kann. Man hat dann die Partitur schwarz auf weiß vorliegen, dazwischen befindet sich aber viel mehr – und dieses Dazwischen wird von dem Orchester interpretiert. Darin liegt für mich eine große Freiheit. Ich sehe die Herausforderung in unserer Zusammenarbeit tatsächlich darin, dass wir nie pünktlich mit dem Takt oder mit dem Beat spielen, was aber die Grundlage für Stefans Musik ist. Plötzlich müssen wir sehr streng im Tempo bleiben.

Jetzt deutet ihr ja schon Herangehensweisen an eure gemeinsame Arbeit an. Habt ihr schon einen Plan, wie ihr vorgehen wollt?

Tahlia Petrosian: Wir müssen eine Brücke zwischen zwei Welten bauen – und das ist gar nicht so einfach. Am Anfang denkt man: »Okay, elektronische Musik und Klassik werden in diesem Projekt verbunden und das in einem möglichst transparenten Prozess.« Das klingt interessant. Aber Ziel ist es auch, dass wir ein Stück präsentieren können, mit dem wir zufrieden sind, das Qualität hat. Es kann nicht so frei laufen, dass wir am Ende auf der Bühne stehen und niemand eine Idee von dem hat, was man machen will. (lacht)

Welche Qualitätskriterien legt Ihr an?

Tahlia Petrosian: Das gemeinsame Werk muss für das Publikum dahingehend überzeugend sein, dass es die Geschichte versteht, die wir innerhalb von vierzig Minuten erzählen.

Stefan Streck: Ich kenne Kooperationen zwischen elektronischen Acts und Orchestern, da lief es immer so »Boom, Boom, Boom« und dazu spielen Leute irgendwie Geige. Auf so etwas habe ich keine Lust. Das ist vorhersehbar und für mich völlig anspruchslos. Das Ergebnis unserer Zusammenarbeit soll sowohl die Leute interessieren, die zu meinen Auftritten kommen, als auch das Gewandhauspublikum. Uns muss es also gelingen, ganz unterschiedliche Leute abzuholen – das wäre perfekt. Um zu überzeugen, brauchen wir zuallererst ein gemeinsames Thema, das die Strukturen schafft, in denen wir arbeiten können.
Tahlia Petrosian: Eine einfache Lösung wäre, dass wir die ganze Zeit Akkorde spielen und Stefan macht sein Ding. Das könnten wir für 30 Minuten durchziehen – aber das ist nicht das, was wir machen wollen.

Ihr habt von einem gemeinsamen Thema als Arbeitsgrundlage gesprochen. Habt ihr das schon gefunden?

Tahlia Petrosian: Ich habe mich gefragt, was elektronische Musik eigentlich ist, und bin dann bei den Begriffen Mechanismus und Wiederholung gelandet. Das sind Begriffe, die schon von Komponisten wie Beethoven und Mozart aufgegriffen wurden, die für eine Flötenuhr komponiert haben. Die Flötenuhr kam noch vor der Spieluhr – die Idee und das Prinzip von Mechanismus, Wiederholung und streng im Tempo bleiben, sind gleich. Aber bei der Flötenuhr ertönt zu einer bestimmten Uhrzeit Musik. Ich weiß allerdings nicht, warum das Ding Flötenuhr heißt. Mit einer Flöte hat es nichts zu tun.

Stefan Streck: Mit unserem Thema »Mechanische Reproduzierbarkeit von Musik« haben wir bereits ein Gefühl für eine Struktur. Das wird ein Rahmen sein, in dem ich sage: »Ich lasse einfach machen.« Natürlich habe ich vorbereitete Skizzen für unsere Treffen, aber was die Musiker*innen um Tahlia dann dazu spielen, möchte ich eigentlich ihnen überlassen. Das ist eine Herangehensweise, die ich so nicht kenne – in der Band habe ich als Gitarrist die Akkorde für Bassist und Schlagzeuger geliefert. Als »The Micronaut« bin ich für mein komplettes Arbeiten allein verantwortlich.

Der Zeitplan für die Spielzeit steht fest. Seid ihr entspannt?

Stefan Streck: Die Termine für die Spielzeit sind gut gesetzt. Da ist auch mal Luft dazwischen, um bestimmte Arbeitsphasen Revue passieren zu lassen. Man kann noch mal innehalten und sich fragen, ob das jetzt wirklich gut ist oder ob man noch mal einen anderen Weg geht.

Stefan, du hast mal gesagt, dass du Musik machst, die in bestimmten Situationen gehört werden soll. Was sind das für Situationen?

Stefan Streck: Musik muss mich in erster Linie berühren. Das ist mir wichtig. Es gibt Alben, die ich vor ein paar Jahren gehört habe und wenn ich die heute wieder höre, weiß ich genau, wie ich damals drauf war. Musik die mich berührt, weckt auch Erinnerungen, die löst irgendetwas in mir aus. Es wäre natürlich schön, wenn wir das in dieser Zusammenarbeit auch schaffen.

Tahlia, hast Du einen Lieblingskomponisten?

Tahlia Petrosian: Es hängt davon ab, ob man Kammermusik oder Orchestermusik spielt. Beethoven finde ich sowohl für Kammermusik als auch Orchestermusik wegen seines »ésprit revolutionnaire«“» interessant. Gerade als Bratschistin kann es passieren, das man in einem Stück ab der Mitte auf die Uhr schaut, weil es einfach nichts mehr zu tun gibt – bei Beethoven hat man immer was zu tun.

Inwiefern kannst du dein eigenes Verständnis und deine eigene Interpretation von Musik als Orchestermusikerin einbringen?

Tahlia Petrosian: Wie wir ein Musikstück als Orchester spielen, ist eigentlich die Interpretation der Dirigenten. Sie müssen das Orchester von ihrer Interpretation überzeugen. In kleineren Ensembles finden Gespräche und der Austausch von Ideen darüber statt, wie man was spielt. Ich glaube, dass ist ein Grund warum so viele Musiker*innen im klassischen Bereich Kammermusik bevorzugen.

Wird die Interpretationsleistung des Dirigenten auch in der Kantine (Gaudium) diskutiert?

Tahlia Petrosian: Natürlich werden solche Themen in der Kantine diskutiert. Ein Orchester ist auch ein Ausschnitt der Gesellschaft und jeder hat seine Meinungen über Musik.

Stefan, wenn du das so hörst: Hättest du mal wieder Lust auf eine Bandkonstellation?

Stefan Streck: Ich habe ja ursprünglich in Bands gespielt. Und als ich nach Leipzig gezogen bin, habe ich die ersten zwei Jahre nur nach Bands gesucht. Ich habe Zettel am Schwarzen Brett, in allen Musikhäusern und Proberäumen angebracht. Am Ende war ich so verzweifelt, dass ich auf Konzerten Leute angesprochen habe, die so aussahen, als würden sie Musik machen. Ich hatte dann auch drei, vier Leute: Wir haben uns getroffen, nicht immer alle zusammen, aber mal mit dem, mal mit dem. Und es war immer so, dass wir uns auf musikalisch unterschiedlichen Levels bewegt haben. Entweder waren die viel besser oder viel schlechter … das ist dann auch nicht so cool. Ich war ziemlich verzweifelt – und nur aus der Situation heraus habe ich angefangen, allein Musik zu machen. Ich habe mir dann Technik zum Aufnehmen gekauft und sechs Stücke fertiggestellt. Die habe ich jemanden geschickt und gefragt, ob er Lust hat, einen Remix zu machen. Als Antwort kam die Frage zurück, ob ich das nicht rausbringen will. Und so kam es zur ersten Platte im Jahr 2012.